Wie es um den Lech steht. Von früher bis heute.

Um zu verstehen, warum wir das Lech Wildlife Projekt ins Leben gerufen haben, ist es notwendig zu wissen, wie es zurzeit um den Lech südlich von Augsburg bestellt ist. Im Folgenden wird daher der momentane Zustand des Flusses aufgezeigt und erklärt, wie es dazu kam. Wir beziehen uns hierbei hauptsächlich auf die Fließstrecke zwischen der Staustufe 23 bei Merching und dem Hochablass bei Augsburg. Da mittlerweile jedoch an nahezu allen Alpenflüssen ähnliche Situationen herrschen, gelten die hier aufgezeigten Zusammenhänge grundsätzlich auch dort. Aus Platzgründen kann hier nur ein sehr oberflächlicher Überblick gewährt werden. Für weiterführende Detailinformationen empfehlen wir die Publikation "Anthropogene Einflüsse auf den Lech bei Augsburg und ihre Auswirkungen" von Dipl.-Geogr. Marco Mariani, erschienen 2007 in der Schriftenreihe Geographica Augustana des Institutes für Geographie der Universität Augsburg (ISBN 3-923273-63-0, ISSN 1862-8680).


Ein freifließender Alpenfluss. Lebensgrundlage für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten.

Der Lech war und ist einer der bedeutendsten Alpenflüsse Europas. Doch sein Erscheinungsbild hat sich in den letzten 100 Jahren stark verändert. Südlich von Augsburg war der Lech einst ein wilder Fluss, der regelmäßig sein Flussbett verlagerte und Unmengen von Kies aus den Alpen zur Donau hin transportierte. Stellenweise war er weit über 1000 Meter breit und sein Wasser floss in zahlreichen verästelten Abflussrinnen gen Norden. Das Gewässer war extrem strukturreich und wies sowohl schnell- als auch langsam fließende Bereiche auf. Auch Tief- und Flachwasserbereiche wechselten sich ständig ab, und das zahlreiche Totholz schuf hervorragende Unterstände für die verschiedensten Tierarten. Der Übergang zum Umland war fließend, ohne feste Grenzen. Land und Wasser waren somit effektiv miteinander vernetzt und den Flusslauf säumten weitläufige Auwälder, die immer wieder überschwemmt wurden. Unzählige Tier- und Pflanzenarten fanden hier eine Heimat.

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Längsbauwerke. Anfangs kam die Begradigung.

Bereits im Mittelalter übte der Mensch erste Einflüsse auf den Lech bei Augsburg aus und veränderte seinen Lauf. Dies waren zunächst jedoch eher kleinere Maßnahmen mit geringerer Tragweite. Dementsprechend gering waren die Auswirkungen auf Flora und Fauna. Dies sollte sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings langsam ändern. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Alpenfluss dann im großen Stil begradigt. Das ehemals stark verästelte Flussbett mit seinen zahlreichen Abflussrinnen wurde nun drastisch verschmälert. Mit Hilfe von massiven Flussbausteinen engte man das Flussbett auf eine durchschnittliche Breite von ca. 65 Metern ein. Als Folge der Begradigungsmaßnahmen wurde der Fluss baulich von seinem Umland getrennt und die ökologisch so bedeutende laterale Vernetzung unterbrochen. Durch die Begradigung kam es im neuen Flussbett zu einer deutlich größeren durchschnittlichen Wassertiefe bei einer gleichzeitig stark angestiegenen Abflussgeschwindigkeit. Die somit erheblich stärkere Schubspannung am Grunde des Flusses sorgte dafür, dass die Tiefenerosion deutlich zunahm. Der im Flussbett vorhandene Kies wurde mehr und mehr abgetragen und der Lech tiefte sich zusehends in die Landschaft ein. Stellenweise um mehr als fünf Meter innerhalb von drei Jahrzehnten. Dies hatte eine starke Absenkung des Grundwasserspiegels zur Folge und die ehemals feuchten Auwälder wurden immer trockener. Doch auch die Landwirtschaft litt unter dem gesunkenen Grundwasserspiegel.

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Querbauwerke. Letztlich mehr Schaden als Nutzen.

Um einer weiteren Eintiefung des Lechs südlich von Augsburg entgegen zu wirken, wurde das Gefälle des begradigten Flusses künstlich abgeflacht. Dies erreichte man durch die Errichtung von zahlreichen Sohlschwellen. Die meisten dieser Querbauwerke liegen nur ca. 1000 Meter voneinander entfernt und unterteilten die einst zusammenhängende Fließstrecke in viele kleine Teilabschnitte. Da keinerlei Aufstiegshilfen errichtet wurden, waren die aquatischen Lebewesen in diesen Teilabschnitten gefangen und konnten sich nicht mehr frei im Fluss bewegen. Die für viele heimischen Fischarten überlebenswichtigen Laichwanderungen fanden somit nur noch in sehr begrenztem Maße statt und die angrenzenden Nebengewässer konnten durch die Eintiefung des Lechs auch nicht mehr erreicht werden. Neben den Sohlschwellen wurden darüber hinaus am Lech an einigen Stellen massive Staumauern errichtet, welche das Wasser am freien Fließen hinderten.

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Stauhaltungen, Kraftwerke und Schwellbetrieb. Viele unbedachte Nebeneffekte.

Der Bau der Stauhaltungen wurde mit der Errichtung von Kraftwerken verbunden, um somit aus der Wasserkraft Strom erzeugen zu können. Außerdem wurde es aufgrund der Begradigungen und der somit fehlenden Retentionsflächen notwendig, den Abfluss des Lechs zu regulieren, um Überschwemmungen so gut es ging zu verhindern. Doch dies war nicht der einzige Grund, warum der Mensch die Abflussmengen des Lechs regulierte. Um die Gewinne aus der Stromerzeugung zu maximieren, fahren die Kraftwerksbetreiber einen sogenannten Schwellbetrieb. Hierbei wird die Menge des Wassers, welches durch die Turbinen fließt, zu Stoßzeiten erhöht und der gewonnene Strom kann zu höheren Preisen an den Strombörsen gehandelt werden. Ist die Stoßzeit vorbei, wird ein Großteil des Wassers abrupt in den Staubecken zurückgehalten und somit bis zur nächsten Stoßzeit "aufbewahrt". Durch diese unnatürlichen Abflussschwankungen fallen Flachwasserbereiche innerhalb kürzester Zeit trocken und die dort in großen Mengen vorkommenden Jungfische müssen kläglich verenden. Auch wenn die bei Merching gelegene Staustufe 23 des Lechs offiziell als Endspeicher für den Schwellbetreib fungiert, lassen sich in ihrem Unterwasser immer wieder unnatürliche Pegelschwankungen in Verbindung mit massiven und verheerenden Fischsterben feststellen.

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Staumauern halten den Kies zurück. Der Flinz wird sichtbar.

Der Lech transportiert durch seine Strömung kontinuierlich Kies ab. Folge sind ständige Veränderungen des Flussbettes, die zahlreiche unterschiedliche Lebensräume im Fluss schaffen. Dieser Prozess funktioniert jedoch nur, wenn auch genügend Geschiebe, sprich Kies, vorhanden ist. Vor dem Bau der Stauhaltungen transportierte der Lech auf Höhe des Augsburger Hochablasses noch jährlich ca. 79.000 m³ Kies aus den Alpen mit sich. Mittlerweile läuft dieser Wert allerdings gegen Null. Der Bau der Staubecken brach den Geschiebenachschub aus den Bergen vollständig ab. Weil der Fluss durch seine Strömung weiterhin Kies abtrug, nun aber kein Geschiebe mehr aus den Alpen nachkommen konnte, wurde die im Flussbett noch vorhandene Kiesschicht immer dünner und dünner. Stellenweise hat dieser Effekt bereits dazu geführt, dass überhaupt kein Kies mehr im Flussbett vorhanden ist. Dies ist daran zu erkennen, dass die ursprünglich unter dem Kies liegende Lehmschicht nun zu Tage tritt. Diese Lehmschicht wird auch als Flinz bezeichnet und hält das Wasser von dem Versickern ab. Da sie jedoch sehr weich ist, wird die Flinzschicht sehr schnell wegerodiert und die Gefahr eines Sohldurchbruchs wird immer größer. Weil die gesamte aquatische Tierwelt des Lechs zwingend auf Kies angewiesen ist, stellt der zunehmende Kiesrückgang ein sehr großes ökologisches Problem dar.

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Kieseinbringung von 120.000 LKW-Ladungen notwendig. Enormer indirekter CO²-Ausstoß durch Wasserkraft.

Bei klarem Wasser lassen sich die freiliegenden Flinzflächen vielerorts als helle Stellen am Grund des Lechs ausmachen. Um den ökologischen und flussbaulichen Negativfolgen des Kiesmangels entgegen zu wirken, fanden bereits erste künstliche Kieseinbringungen per LKW unterhalb der Staustufe 23 statt. Leider stellen diese jedoch nur einen winzigen Tropfen auf den heißen Stein dar. Die tatsächlich benötigten Kiesmengen liegen um weit mehr als das 100-fache höher. Bisher wurden ca. 30.000 Tonnen Kies eingebracht, was bei der entsprechenden Korngröße in etwa 15.000 m³ entspricht. Mindestens erforderlich sind für die Fließstrecke zwischen Staustufe 23 und Hochablass jedoch 1.500.000 m³. Bei einer maximal zulässigen Ladung von 25 Tonnen Kies pro LKW, entspräche dies somit 120.000 LKWs. Von den anfallenden Kosten einmal abgesehen, ist dies ein gewaltiger CO²-Ausstoß! Dies relativiert die vielgepriesene CO²-Freiheit der Stromgewinnung aus Wasserkraft doch enorm und lässt sie eher als Märchen, denn als angebliche Realität erscheinen. Wenn man die gnadenlose Zerstörung des Lechs und aller anderen Alepnflüsse nicht stillschweigend in Kauf nimmt und sich somit nicht der Milchmädchenrechnung der Wasserkraftslobby hingibt, so wird man erkennen, dass diese angeblich so grüne Art der Stromgewinnung deutlich weniger umweltverträglich ist als viele andere. Und dies alleine in Bezug auf den Kiesrückhalt und die dadurch entstehende Verflinzung. Hinzu kommen noch zahlreiche weitere direkt und indirekt ausgeübte Schäden an Flora und Fauna.

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Weitere Auswirkungen der Stauhaltungen. Vom Fluss zur Seenkette.

Der fatale Kiesrückhalt ist jedoch nicht der einzige Effekt, den die Staumauern verursachen. Da das Wasser in den Stauhaltungen steht, lagert sich dort Feinmaterial am Grund ab und kann durch die fehlende Strömung nicht weggeschwemmt werden. Hierdurch setzt sich der dort befindliche Kies am Flussgrund komplett zu. Das Lückensystem, welches in sauberem Kies zu finden ist, nennt sich hyporheisches Interstitial. Dieses existiert in Stauhaltungen jedoch praktisch nicht mehr. Der Prozess des Verstopfens des hyporheischen Interstitials wird Kolmation genannt. Man unterscheidet zwischen äußerer und innerer Kolmation. Die äußere Kolmation ist optisch an einem Algenbewuchs auf dem Kies zu erkennen. Die innere Kolmation folgt auf die äußere Kolmation und verstopft das Lückensystem weiträumig in den Gewässergrund hinein mit Feinpartikeln. Da freier, unkolmatierter Kies die Lebensgrundlage für die im Lech heimischen Fischarten und die Biozönosen, welche deren Nahrungsgrundlage bilden, können sich diese hier kaum noch fortpflanzen und finden keine Nahrung mehr. Verstärkt wird die Kolmation noch durch das gesteigerte Algenwachstum, welches in Stauhaltungen aufgrund der höheren Wassertemperaturen stattfindet. Durch die enorm große Oberfläche und die fehlende Durchmischung, erwärmt sich das Wasser in den Stauhaltungen nämlich deutlich schneller als in den freifließenden Abschnitten. Die nach einiger Zeit absterbenden Algen fallen auf den Gewässergrund, wo sie durch den Abbauprozess ebenfalls zu Feinmaterial umgewandelt werden und so die Kolmation weiter verschlimmern. Problematisch ist auch die Tatsache, dass nahezu alle im Lech heimischen Fische rheophile bzw. rheobionte Arten sind, die ein rheopares Laichverhalten haben. Sie sind also an die Strömung angepasst und können auch nur in dieser ablaichen. Für das Leben im stehenden oder sehr langsam fließenden Wasser sind sie nicht geschaffen und kommen auch mit den höheren Wassertemperaturen im Sommer nicht zurecht.

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Massiver Arten- und Individuenrückgang. Kaum noch Leben im und am Wasser.

Da über viele Jahrzehnte hinweg kontinuierlich Kies in der Staustufe 23 abgebaut worden ist, wurde der verschlammte Gewässergrund dort ständig umgewälzt. Hierbei wurde das dort abgelagerte Feinmaterial aufgewühlt und durch das so angetrübte Wasser auch in die sich unterhalb der Staustufe befindliche Fließstrecke befördert. Dort kam es daher ebenfalls zu erheblichen Kolmationserscheinungen. Mittlerweile stehen nahezu alle ursprünglich im Lech vorkommenden Fischarten auf der Roten Liste und sind in ihrem weiteren Bestehen teils enorm bedroht. Wenn in der besagten Fließstrecke zwischen der Staustufe 23 und dem Hochablass überhaupt noch spärliche Kiesreste anzutreffen sind, dann sind diese meist extrem kolmatiert. Vielerorts ist jedoch noch nicht einmal kolmatierter Kies anzutreffen und die Flinzschicht tritt hervor. Beide Szenarien vereiteln die Nahrungssuche und die Fortpflanzung unserer heimischen Fischarten nahezu vollständig. Dementsprechend bedroht sind nun diese dort. Durch die mangelnde laterale Vernetzung ist darüber hinaus auch kaum noch funktionierender Auwald vorhanden und auch das an den Fluss angrenzende Leben ist ernsthaft bedroht.

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"Ökostrom" bringt mehr Geld in die Kassen der Kraftwerksbetreiber. Verursacherprinzip wird missachtet.

Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass hier nach dem Verursacherprinzip gehandelt werden sollte und die Kraftwerksbetreiber zu angemessenen Ausgleichsmaßnahmen für den verursachten Schaden herangezogen werden sollten. Dies ist bisher jedoch leider nicht der Fall, da nach der zur Zeit praktizierten Handhabung die Gewinne aus der Stromerzeugung durch Wasserkraft nicht herangezogen werden, um die daraus resultierenden ökologischen Schäden auszugleichen. Diese werden komplett auf die allgemeinen Stromverbraucher als Kosten abgewälzt. Auch die Kosten für den nachträglichen Bau von Fischaufstiegsanlagen zur Verbesserung des ökologischen Zustands/Potentials eines Gewässers werden den allgemeinen Stromverbrauchern aufgebürdet, da der Kraftwerksbetreiber eine erhöhte EEG-Einspeisevergütung von 9,7 Eurocent pro Kilowattstunde gegenüber den üblichen ca. 4 Eurocent pro Kilowattstunde für „Normalstrom“ erhält. Der Ausdruck „Ökostrom“, welcher von manchem Kraftwerksbetreiber in seinem Sprachgebrauch verwendet wird, mag bei den ökologisch unkritischen Menschen als richtig erscheinen, klingt aber in den Ohren der sich mit der Fließgewässerökologie befassenden Leute als blanker Hohn, wenn man die immensen Umweltschäden, welche durch Geschiebeausfall, Verflinzung, Schwellbetrieb und indirekten CO²-Ausstoß durch den kontinuierlich erforderlichen LWK-Reparaturbetrieb für den Geschiebeersatz bedenkt.

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Viele Maßnahmen greifen nicht so wie geplant. Hoffnung ist jedoch in Sicht.

Selbst durch den Bau der zahlreichen Sohlschwellen konnte die Eintiefung des Lechs nicht vollkommen unterbunden werden und auch der Hochwasserschutz kann durch die Stauhaltungen nicht befriedigend geregelt werden. Aus diesen Gründen sollen zukünftig durch den Bayerischen Staat Renaturierungsmaßnahmen im Rahmen des Projektes "Licca Liber - Der freie Lech" durchgeführt werden. Diese werden wohlgemerkt durch die Allgemeinheit der Bürger und nicht durch die eigentlichen Schadensverursacher finanziert. Eine denkbare Möglichkeit, den Kiesrücklahlt im Lech etwas zu kompensieren, wäre es, es dem Fluss durch Seitenerosion zu gestatten, die Kiesflächen neben seinen derzeitigen Ufern wieder aufzunehmen. Doch auch dies stellt sicher nur eine mittelfristige Lösung dar. Bevor dieses Problem endgültig gelöst werden kann, wäre es jedoch von enormer Bedeutung, im Rahmen der geplanten Renaturierungsmaßnahmen auch den noch im Flussbett vorhandenen Kies mechanisch wieder aufzulockern und zu reinigen, um das hyporheische Interstitial wieder herzustellen und so die Grundlage jeglichen Lebens im Lech. Bis dies geschieht, versuchen wir die noch verbliebenen Restbestände der Fische mit ihrem wichtigen Erbgut so gut es geht zu erhalten und wieder aufzubauen. Dies kann jedoch nur durch den verstärkten Einsatz von unseren Brutboxen funktionieren.

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